Der Mann kommt auf mich zu, legt den Kopf schief. „Brauchst du was?“ Ich sage ja, füge aber hinzu, dass ich nicht an Drogen interessiert sei, sondern an seiner Geschichte. Ich bin im Volksgarten und will erfahren, was das für Menschen sind, die hier Tag für Tag stehen oder mit Rädern Kreise ziehen.
Wir setzen uns auf die Stufen der evangelischen Kreuzkirche. Weitere Männer kommen her, begrüßen ihn, geben auch mir die Hand. Zigaretten werden angezündet, die Dazugekommenen ziehen weiter, wir bleiben sitzen. Ich frage ihn, was er hier so tut. Er spricht mal Englisch, mal gebrochenes Deutsch. Der Einfachheit halber gebe ich seine Antworten in Deutsch wieder, seinen Namen habe ich geändert.
„Ich komme aus Pakistan. Bin aber eigentlich Afghane. Meine Mutter flüchtete vor den Russen und so wurde ich in Pakistan geboren“, meint Ben und zieht an seiner Marlboro. In Pakistan arbeitete er in einem Büro eines Nationalparks. Ben gehört der Schia, der zweitgrößten Konfession des Islam an. Trotzdem war er in seiner Heimat Angehöriger einer Minderheit und musste fliehen – vor den Taliban. „Ich sah Leute sterben. Mein Cousin starb vor mir auf der Straße nach einem Attentat zweier Selbstmordattentäter.“ Vor drei Jahren und einigen Monaten kam er nach Österreich. Sein Antrag auf Asyl blieb bis heute unbeantwortet, sagt er. „Wir haben ein scheiß Leben hier. Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Ich weiß nicht, wie es meiner Familie geht. Wenn ich frage, wann ich etwas bekomme, antwortet mir niemand.“
„100 Euro reichen vielleicht für Hundefutter“
Unterstützt wird Ben von der Caritas. „Ich bekomme 300 Euro im Monat. 200 gehen für die Miete drauf. 100 sollen für Essen und den Rest reichen. Tut es aber nicht.“ Er sitzt gegen eine Säule gelehnt, und mustert immer wieder die Straße. Hört man ein Auto kommen, so springen seine Augen suchend umher. „Ich weiß, dass diese „Arbeit“ hier nicht gut für meine Zukunft ist. Aber mit 100 Euro kann ich nicht leben.“ Ein Spaziergänger mit einem deutschen Schäferhund geht vorbei. Ben deutet auf den Hund. „100 Euro reichen vielleicht für Hundefutter, wenn du einen Hund hast. Aber ich bin kein Hund. Ich bin ein Mensch.“ Ben beginnt zu weinen. Räuspert sich, wischt die Tränen aus dem Gesicht. Wieder kommt jemand vorbei, Ben wechselt kurz einige Wörter mit dem Jugendlichen, der mir ebenfalls die Hand gibt. „Wenn ich die Möglichkeit auf einen Job hätte, würde ich ihn nehmen“, meint Ben plötzlich und dämpft die Zigarette aus. „Ich würde alle scheiß Toiletten in Österreich putzen. Aber ich habe kein Visum. Ohne das kann ich nicht arbeiten.“ Ben hat es versucht, war in mehreren Geschäften. Überall fragte man nach dem Visum oder nach einem Reisepass. Ben hat beides nicht.
Er steht von Morgen bis Abend im Park. „Menschen kommen und gehen. Kaufen für Parties, manchmal stehlen sie das Marihuana und rennen einfach davon.“ Die meisten Leute, die durch den Park spazieren, reagieren freundlich. „Alle Leute wissen, was wir hier machen. Dennoch gibt es nur wenige, die, wenn die Polizei da ist, auf uns zeigen und uns verraten.“ Ben erzählt vom Respekt in Österreich und kommt ins Schwärmen. „Die Leute sind so freundlich. Sie respektieren dich. Hier in Europa gibt es einen guten Islam, einen guten Glauben. Nicht so in Asien.“
Ich frage, warum im Volksgarten gewalttätige Auseinandersetzungen passieren. „Es gibt drei oder vier Gruppen hier. Jede Gruppe hat ihren eigenen Bereich.“ Gibt es Grenzüberschreitungen, wird mit Gewalt gestraft. „Wir gehen nicht in deren Bereich, die kommen nicht zu uns. Aber wenn es doch passiert, dann passieren furchtbare Dinge.“ Er erzählt, dass ein Freund von ihm durch ein Messer am linken Arm verletzt wurde.
„Die Großen verdienen natürlich schon etwas.“
Ben rauchte in Pakistan schon seit er vierzehn Jahre alt war Marihuana. „Ist besser als Alkohol oder andere Drogen.“ Auch im Volksgarten raucht er ab und zu. Mit dem Verkauf des Marihuana verdiene man nicht soviel Geld, meint er. Ben holt seine Geldtasche heraus. Ein 20-Euro Schein ist in der speckigen Börse. „Die Großen verdienen natürlich schon etwas. Sie bringen das Ganja aus Tschechien oder aus Spanien.“ Er nimmt von den „Großen“ um fünf und verkauft um zehn Euro weiter.
Ben nennt mich „Bruder“, wenn er antwortet. „Das ist ein guter Park. Aber wir“, er deutet auf sich, auf andere im Hintergrund, „wir sind nicht gut. Wir sind Müll. Und wir wissen das.“ Er verstummt. „Ich weiß, dass ich nichts Gutes mache. Ich schäme mich. Mein Herz sagt, dass das nicht gut ist.“
Mit der Polizei hatte Ben schon des Öfteren zu tun. „Erwischen sie dich, dann gibt es bei wenigen Gramm Geldstrafen.“ Und eine Eintragung in das Register, was das Bekommen des Visums weiter erschwert. „Mit mehr Gramm gehst du ins Gefängnis. Aber ich freue mich mittlerweile, wenn ich verhaftet werde.“ Ben beginnt wieder zu weinen. „Die Polizei ist ganz gut. Dort gibt es ein Dach über den Kopf, etwas zu essen und ich muss mir für kurze Zeit keine Sorgen machen.“ Ich bedanke mich für das Gespräch. Er nimmt meine Hand und verrät mir seinen echten Namen.
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